„ALS HERR FLÖSSNER MIR ANBOT, BEI IHM ZU HOSPITIEREN, HABE ICH MICH SEHR SEHR GEFREUT “ Amjad Said S tünde morgen ein Apotheker aus der Ukraine vor seiner Tür und würde um Arbeit bitten – Amjad Said würde nicht einen Moment zögern. „Ich würde ihm helfen, wie mir geholfen wurde. Ich hatte so unglaublich viel Glück. Und das möchte ich jetzt weitergeben”, sagt der 30-Jährige und blickt zu Christian Flössner. Von ihm hat er die Saxonia-Apotheke, Internationale Apotheke in Dres- den, übernommen. Das erste Haus am Platz, mit einem exzellenten Ruf, 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem langjährigen Chef, den als Vizepräsident der IHK Dresden nicht nur in der Stadt, sondern im ganzen Land sehr viele kennen. Dies einzig und allein als erfolgreiche Geschäftsübergabe zu bezeichnen, wäre deutlich zu tief- gestapelt. In manchen Momenten geht selbst Christian Flössner davon aus, dass „jemand da oben” viel- leicht ein wenig mitgewirkt hat. Ihre gemeinsame Geschichte be- ginnt vor fünf Jahren. Dass sie ein derartiges Happy End haben würde, ahnt wohl keiner der beiden, als Amjad Said im Frühjahr 2017 die Ladentür an der Prager Straße 8a öffnet und plötzlich mitten in der Apotheke steht. Hinter ihm liegen die Flucht aus Syrien, in dem der Krieg tobt, zwei Jahre in einer völlig fremden Kultur, zahlreiche Sprach- kurse, an die Hundert erfolglose Bewerbungsmails und acht Apotheken, in denen er schon abgeblitzt ist. Vor ihm liegt nicht weniger als die Hoffnung auf ein neues Leben in Dresden. Mit dem Mut der Verzweiflung und dem un- bedingten Willen, sich in Deutschland eine eigene Existenz aufzubauen, spricht er Apotheken-Chef Christian Flössner an. Und der horcht auf – obwohl der junge Mann nicht der erste syrische Apotheker ist, der darum bittet, in seiner Apotheke arbeiten zu dürfen. „Irgendwas war anders, das habe ich sofort gespürt”, erinnert sich Christian Flössner. PLÖTZLICH NIMMT DAS LEBEN EINE WENDE Der erfahrene Pharmazeut stimmt zu, dass Amjad Said ihm Bewerbungsunterlagen zuschickt. Vier Stunden nach Ein- gang der Dokumente ruft er den damals 25-Jährigen an. Und der kann sein Glück kaum fassen. „Es war ein Freitag und als Herr Flössner mir sagte, dass ich ab Montag bei ihm hospitieren darf, habe ich mich sehr sehr gefreut”, erzählt der junge Syrer in nahezu einwandfreiem Deutsch und lächelt bei dem Gedanken an jenen Moment, der seinem Leben eine neue Wende gegeben hat. Das Jobcenter wollte ihn, den syrischen Apotheker mit Hochschulabschluss, eigent- lich in einer handwerklichen Maßnahme unterbringen. „Ich habe gesagt, dass das vielleicht nicht das Richtige für mich ist”, erzählt Amjad Said. Er bittet eine Betreuerin, ihn bei seinen Bewerbungsunterlagen zu helfen – mit Erfolg. Am Montagmorgen steht der junge Mann pünktlich in der Offizin und saugt ab diesem Zeitpunkt wie ein Schwamm alles auf, was Christian Flössner und die Kolleginnen und Kollegen ihm erzählen. Alles, was wichtig erscheint oder mal wichtig werden könnte, schreibt er in ein Heft, das er abends nach Dienstschluss Seite für Seite nochmal durch- geht. Arbeiten in klassischem Sinne darf er noch nicht – aber lernen, lernen, lernen. ALLES IST ANDERS ALS IN SYRIEN Nicht nur die Namen der Medikamente sind anders. Auch die Lagerung und Präsentation unterscheiden sich erheb- lich von dem, was der junge Mann aus Syrien kennt. „Be- sonders gut fand ich dieses Schubladen-System”, erinnert er sich und löst damit bei Christian Flössner einen kleinen Heiterkeits-Anfall aus. „Ein Schubladen-System?”, sagt er und lacht. „Das ist ein Kommissio- nierer. Die Saxonia-Apotheke war die erste Apotheke in ganz Euro- pa, die ihn hatte. Bei Rowa sind wir damit die Number one.” Nun muss auch Amjad Said lächeln. Wer die beiden beobachtet, merkt schnell: Sie haben sich nicht aktiv gesucht, aber auf jeden Fall gefunden. Während Amjad Said 2017 büffelt und alles ganz genau wissen will, regelt Christian Flössner derweil alles mit dem Jobcenter. Die Hospi- tation in der Apotheke wird als ge- forderte Maßnahme anerkannt. Um in Deutschland auch wirklich als Apotheker arbeiten zu dürfen, legt der Syrer die Fachsprachen-Prüfung ab, spä- ter die Approbation. Eine weitere Anforderung: ein fester Arbeitsvertrag. Den will der Dresdner Apotheker seinem jungen Kollegen gern geben, bezieht aber das Team mit in die Entscheidung ein. Und – auch das ist Teil der Ge- schichte – nicht alle sind sofort begeistert. Kann der junge Syrer das? Hat er genug Erfahrung? Passt er ins Team? Sind die kulturellen Unterschiede nicht vielleicht doch zu groß? Christian Flössner erklärt die Angelegenheit nicht zur Chef-Sache, sondern setzt auf den Austausch und viele Gespräche. Am Ende heißen alle Amjad Said im Team herz- lich willkommen. „Von diesen Diskussionen habe ich gar nichts mitbekommen. Alle Kollegen waren von Anfang an sehr nett zu mir. Ihr Verhalten war sehr professionell”, sagt der Betroffene. Schon lange ist es sein Traum, eine eigene Apotheke zu haben. Doch darf man diesen Traum träu- men, in einem fremden Land, in dem man gerade erst an- gekommen ist? Schritt für Schritt nähern sich die beiden Männer im Laufe der Jahre dem Thema „Apothekenübernahme” an. Denn eigentlich passt es ja perfekt zusammen: Hier der junge, ehrgeizige Apotheker mit einem Lebenstraum. Und dort der erfolgreiche Geschäftsinhaber, der viel aufgebaut hat und sehr gerne arbeitet – nur nicht bis 67. Wäre da eine Übernahme nicht die perfekte Lösung? Ja! Da sind sie sich einig. „Mir war sehr schnell klar: Wenn wir eine Apotheken- übernahme planen, müssen wir hochprofessionell vor- SEITE 07